Immobilieninvestitionen und ESG

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Immobilienmarkt unter ESG-Druck: Risiken, Zahlen und die Suche nach Lösungen

Der europäische Immobilienmarkt steht unter massivem Anpassungsdruck. Jahrzehntelang waren Zinspolitik, Standort und Mietentwicklung die treibenden Faktoren für Immobilienwerte. Heute hat sich die Gleichung verändert. Nachhaltigkeit und Energieeffizienz sind zu harten ökonomischen Kennzahlen geworden, die über Wertstabilität, Rendite und Finanzierung entscheiden.

Stranded Assets: Wenn Gebäude an Wert verlieren

Mark Carney, ehemaliger Zentralbankchef und Premierminister von Kanada, warnt Investoren eindringlich vor einem Szenario, das längst keine Zukunftsprognose mehr ist: Stranded Assets. Gebäude, die den Anforderungen der Energiewende nicht gerecht werden, könnten bis zu 30 Prozent an Wert verlieren. Der Grund ist einfach: ineffiziente Immobilien sind regulatorisch angreifbar, energetisch zu teuer im Betrieb und für Investoren wie Mieter immer unattraktiver.

Diese Entwicklung zeigt sich bereits. In Großbritannien haben rund zwölf Prozent der kommerziellen Gebäude im Jahr 2023 die dort geltenden Mindestanforderungen an Energieeffizienz nicht erfüllt. Die Nachfrage nach sogenannten „Brown Buildings“ sinkt spürbar, während Banken wie ING offen ankündigen, Kreditlinien einzuschränken oder zu kündigen, wenn Eigentümer ihre ESG-Ziele nicht erreichen. Der Kapitalmarkt zieht damit klare Grenzen: Wer Nachhaltigkeit ignoriert, verliert Finanzierungsspielräume.

Die Rolle der Regulierung

Parallel verschärfen sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Mit der überarbeiteten EU-Gebäuderichtlinie (EPBD) wird die energetische Klassifizierung von Immobilien von A+ bis G europaweit vereinheitlicht. Gebäude in den schlechtesten Klassen F und G müssen bis 2030 (öffentliche Gebäude) bzw. 2033 (alle Nichtwohngebäude) verbessert werden. Diese Fristen sind verbindlich, und Carney warnt ausdrücklich davor, auf eine Verschiebung zu hoffen. „Das ist ein großes Risiko“, betont er, „denn es wird keine Gnade geben.“

Die Anforderungen betreffen nicht nur die langfristige Werthaltigkeit von Assets, sondern auch die kurzfristige Liquidität. Eine Analyse des Investmentmanagers AEW kommt zu dem Schluss, dass Immobilieninvestoren ihre jährlichen Kapitalausgaben um rund 30 Prozent steigern müssen, um den Rückstand gegenüber den Klimazielen aufzuholen. Das bedeutet: Ohne zusätzliche Investitionen werden viele Gebäude regulatorisch durchfallen, mit allen Konsequenzen für Bewertung und Finanzierung.

Marktbeispiele und Investitionsrealität

Die Folgen sind bereits sichtbar. In London wurden prominente Bauvorhaben wie das ehemalige Marks & Spencer-Flaggschiff an der Oxford Street oder das Museum of London kontrovers diskutiert, weil der Abriss ineffizienter Gebäude auf der einen Seite energetische Verbesserungen verspricht, auf der anderen Seite aber enorme Mengen an grauer Energie vernichtet. Dieses Spannungsfeld zeigt, dass die Transformation des Immobiliensektors nicht nur eine technische, sondern auch eine politische und gesellschaftliche Dimension hat.

Gleichzeitig zwingt die Dynamik Eigentümer zu schnellen Entscheidungen. Ältere Bürogebäude in peripheren Lagen, die sich nur mit hohem Kostenaufwand aufrüsten lassen, werden zunehmend als nicht mehr wirtschaftlich eingeschätzt. Investoren wenden sich stattdessen modernen, energieeffizienten Neubauten oder aufgewerteten Bestandsobjekten zu. Damit entstehen Gewinner und Verlierer im Markt, eine Entwicklung, die durch ESG-Vorgaben massiv beschleunigt wird.

Chancen für aktive Eigentümer

So groß die Risiken sind, so klar zeigen sich auch Chancen für diejenigen, die aktiv handeln. Gebäude, die energetisch modernisiert oder betrieblich optimiert werden, profitieren nicht nur von geringeren Betriebskosten, sondern auch von stabilerer Nachfrage und besseren Finanzierungskonditionen. Mieter, insbesondere Unternehmen mit eigenen ESG-Verpflichtungen, bevorzugen zunehmend Flächen, die ihre Nachhaltigkeitsziele unterstützen. Damit wird ESG zur direkten Nachfragekomponente am Markt.

Wichtig ist, dass der erste Schritt nicht zwingend in umfassenden Sanierungsmaßnahmen bestehen muss. Auch Maßnahmen im laufenden Betrieb können die Energieeffizienz signifikant verbessern und die Position eines Gebäudes in der Klassifizierung unmittelbar stärken. Technologische Lösungen wie KI-gestützte Steuerung von Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen ermöglichen messbare Fortschritte, ohne in die Gebäudesubstanz eingreifen zu müssen.

Fazit

Der Immobilienmarkt in Europa erlebt eine ESG-getriebene Neubewertung. Stranded Assets sind keine abstrakte Gefahr mehr, sondern bereits Realität. Wertverluste von bis zu dreißig Prozent, steigende Investitionskosten und strenge regulatorische Vorgaben zwingen Eigentümer und Investoren zum Handeln. Gleichzeitig entstehen neue Chancen für diejenigen, die ESG nicht als Pflicht, sondern als strategischen Hebel verstehen.

Wer frühzeitig Maßnahmen ergreift, sichert nicht nur den Wert seiner Assets, sondern verbessert auch seine Marktposition und den Zugang zu Kapital. Ob durch umfassende Sanierungen oder durch intelligente Betriebsoptimierungen, entscheidend ist, dass gehandelt wird. Denn die Deadlines sind real, und die Märkte reagieren schon heute.

Quelle: Financial Times – Mark Carney warns net zero will mean ‘significant’ stranded property assets

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